Bereits vor der SARS-CoV-2 Pandemie galten Tröpfchen-Gemische und Aerosole als potenzielle Risikofakten für Infektionen in Zahnarztpraxen. Durch die Pandemie bedingt, entstand eine erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema Aerosole als Gefahrenquelle in Zahnarztpraxen. Eine neue Studie von Mikrobiologe Dr. Martin Koch und Priv.-Doz. Dr. Christian Graetz von der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie des Universitätsklinikums Kiel überrascht nun mit neuen Erkenntnissen zum Thema Vermeidung von Aerosolen in Zahnarztpraxen.
Die als In-Vitro-Experiment angelegte Studie hatte als Ziel, den Einfluss der Durchflussrate auf die Effektivität der Absaugung bei der Präparation mit einer Turbine zu untersuchen. In-Vitro bedeutet, dass das Experiment in einer kontrollierten, künstlichen Umgebung durchgeführt wurde. Im Experiment sollten verschiedene Partikelgrößen, die zusammen genommen den Spraynebel bilden, sicht- und messbar gemacht werden. Spraynebel entsteht bei nahezu jeder Zahnarztbehandlung, z. B. durch den Einsatz von hochtourigen Instrumenten und setzt sich u.a. aus Kühlwasser, Partikeln, Pulver, Speichel, Blut und Mikroorganismen zusammen. So können potenzielle Krankheitserreger leicht transportiert werden.
Um die Partikel im Studienaufbau sichtbar zu machen, wurde gemeinsam mit dem Göttinger Unternehmen Lavision ein neues Verfahren zur Messung angewandt, das erstmals für die Darstellung von dentalem Spraynebel eingesetzt wurde. Durch das sogenannte „Image Shadowing“ werden kleinste Partikel ab einem Durchmesser von 5 µm sichtbar und somit messbar gemacht. Die hochaufgelösten Messaufnahmen werden durch eine gepulste LED-Hintergrundbeleuchtung erzielt. Eine spezielle Software unterstützt nach voreingestellten Kriterien die automatische Partikelerkennung in einer Bildserie von Schattenaufnahmen und bestimmt Anzahl, Größe und Geschwindigkeit der Partikel in Echtzeit.
Durchgeführt wurde die Messung an einem Phantomkopf in einer Praxisumgebung. Die unterschiedlichen Saugkanülen und die Turbine wurden währenddessen von Stativen in Position gehalten.
Während des Experiments wurden verschiedene Variablen verändert. Beispielsweise wurde die Leistung des Absaugung-Systems gesteigert, begonnen bei weniger als 120l/min bis zu über 300l/min Durchflussrate. Des Weiteren wurde die Positionierung bei der Absaugkanüle variiert. Eine weitere Variable war das Design der Absaugkanüle.
Das Ergebnis war deutlich: Bei einer Absaugleistung mit einer Durchflussrate von mindestens 300l/min konnten nahezu alle Partikel – unabhängig von deren Größe – abgesaugt werden. Auch die Form der Kanüle oder die Positionierung spielten dabei keine Rolle mehr, eine Absaugung von mindestens 300l/min beseitigt sogar größere Partikel. Dr. Martin Koch: „Wir konnten zeigen, dass mit einer Absaugrate von 300l/min nahezu alle Partikel abgesaugt werden, wir erzielen eine Absaugung von über 99%. Das ist wesentlich mehr als in der Literatur beschrieben.“
Doch noch weitere Erkenntnisse der Studie sind überraschend. „Besonders herausgestochen ist auch das schlechte Abschneiden des Speichelsaugers: Wir waren überrascht, wie wenig Partikel durch den Speichelsauger tatsächlich entfernt werden. Der geringe Durchmesser des Saugers reduziert die Durchflussrate bis auf 70l/min. Damit steigt die Anzahl der Partikel, die die Mundöffnung des Patienten verlassen, drastisch an. Ein Speichelsauger ist daher auf keinen Fall ausreichend, um zahnärztliches Personal vor entstehendem Spraynebel zu schützen. Den gleichen Effekt haben verstopfte Saugleitungen und kleine Schlauchdurchmesser.“
Die Ergebnisse der neu veröffentlichen Studie könnten Bewegung in die zahnärztliche Absaugroutine bringen, denn die Daten zeigen Wege auf, wie der Infektionsschutz in Zahnarztpraxen zielgerichtet zum Schutz aller, einschließlich des Praxispersonals, verbessert werden kann.
Die gesamte Studie gibt es im Wissenschaftsjournal Plos One zu lesen: https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0257137